NRW Ticketing Bergkamen


Ich genehmige mir ein Mittagessen beim Stationsgrill. Halbes Hähnchen mit Fritten und Salat. Das Menü wird mir vom Imbissbesitzer persönlich zubereitet und serviert. Er macht mir ein bisschen Angst, weil er, klein und breit gebaut, mit grimmiger Miene, prallen herabhängenden Tränensäcken und gebeugter Haltung, aussieht wie Dr. Frankensteins Gehilfe. Das ich ausgerechnet daran denke, liegt sicher auch daran, dass er in einem weißen Laborkittel kocht. Ich blättere ein wenig durch den Hellweger Anzeiger, stoße aber auf nichts außergewöhnliches. Die Stadt Bergkamen bewirbt sich zum zweiten Mal für Fördergelder, um einen alten Römerwall wieder aufzubauen, eine Parkpalette wird saniert, ein Wohnmobilstellplatz erfreut sich großer Beliebtheit, ein Gartencenter bewirbt mit dem Slogan „Wir haben die Dicksten!“ seine besonders breiten Buchsbäume. Zeit etwas anderes zu tun. Auf dem Parkplatz vor dem Museum hält ein Auto, aus dem die Frau steigt, die den Schlüssel hat. Sie begrüßt mich lächelnd und entschuldigt sich, dass sie ein wenig zu spät dran ist. Dann bittet sie mich hinein ins Bergkamener Stadtmuseum in Oberaden – ohne Eintritt zu verlangen. Die Frau ist sehr freundlich, fragt mich, was ich mir denn gerne ansehen wolle. Sie werde noch ein paar Minuten brauchen, um überall das Licht eingeschaltet zu haben und rät mir doch einfach im Erdgeschoss anzufangen. Gut, mache ich, auch wenn es im unteren Teil des Museums hauptsächlich um Römer geht – ein Thema, dass mich nicht gerade packt wie eine Naturgewalt. Zwischen weißen Wänden und verhängten Fenstern stehen Modelle des Römerlagers, das die Stadt wieder aufbauen will, Waffennachbauten, Tonkrüge, Dachziegel. Es gibt Informationen darüber, wie die Legionäre sich damals gekleidet haben, was sie zu essen hatten, und wie es um die sanitären Anlagen beschaffen war. Nicht sehr fesselnd für mich, aber durchaus mit Liebe präsentiert. Ein paar Details am Rand finde ich immerhin cool: Da ist der Dichter Decimius Magnus Ausonius, der den Mund noch richtig voll nehmen konnte, auch wenn es nur um kleine Sachen ging. Er schreibt über das sogennante archimedische Kästchen – ein Spiel wie Tangram, bei dem man aus verschiedenförmigen Holzteilen versucht ansehnliche Figuren zu legen: „Daskunstvolle Gebilde der Könner ist ein Wunder, das Machwerk der Unkundigen lächerlich.“ Ich stelle mir vor, mit welchem Vokabular er wohl Bergkamen beschreiben würde – sicher nicht mit Mittelzentrum und Ballungsrandzone des Oberzentrums.


Ich arbeite mich ein Stockwerk weiter nach oben. Hier ist das Bergkamen der Vergangenheit aufgebaut: Alte Küchen, ein Friseursalon, eine Apotheke und ein Tante Emma Laden. Ich erfahre endlich, warum es so schwer ist in Bergkamen ein richtiges Zentrum zu finden: Bis in die sechsziger Jahre gab es hier gar keine Stadt – sondern nur sechs Dörfer. Man hat sie unter einem neuen Wappen, das aussieht wie ein Siedler von Catan Spielbrett, vereinigt. Das macht mir meinen ganzen Tag ein Stück verständlicher. Eine Stadt entsteht nicht über Nacht, und umso langsamer, wenn die Leute noch daran gewöhnt sind in einem kleinen Ort zu leben, der sich dadurch ja auch nicht in Luft auflöst. Kein Wunder, dass ich den öffentlichen Raum einfach nicht auftreiben konnte. Und damit wende ich mich dem zu, was mich überhaupt hergebracht hat.