NRW Ticketing Bergkamen


In Dortmund komme ich dank des Stromausfalls zu spät an. Nach Bergkamen gelangt man mit dem Zug gar nicht. Es gab wohl mal einen Bahnhof, aber irgendwann in den Achtzigern hat man ihn vom Netz abgekoppelt. Ich bin deshalb auf den Schnellbus S30 angewiesen, der Samstags nur einmal die Stunde fährt und in diesem Moment bereits an der Ampel hinter der Haltestelle steht. Ein kurzer Sprint ist alles was ich von Dortmund sehe, dann macht mir eine freundliche Busfahrerin, die ich flehend durch die Scheiben anschaue, ihre Türen auf. Noch einmal eine halbe Stunde bin ich unterwegs. Der Bus fährt auf die Autobahn auf, man solle sich anschnallen verrät eine Stimme, die auf Knopfdruck ertönt. Von der Autobahn geht es auf die Landstraße und von dort in eine Population von Kreisverkehren, die den Bus schließlich am zentralen Busbahnhof von Bergkamen ausspuckt. Und da bin ich plötzlich – in Bergkamen.


Ich hatte vorher nachgefragt: Der Busbahnhof ist gleich beim Rathaus und beim Rathaus ist das „Stadtmarketing“ – was so eine Art Touristeninformation sein soll. Da wollte ich mir einen Stadtplan besorgen und von da aus weitersehen. Es gibt mir also ein gutes Gefühl, dass sich mir sofort der Schriftzug Rathaus von der anderen Seite der Straße in großen weißen Lettern engegenstellt. Das Gebäude, an dem sie prangen, besteht aus matten, sandfarbenen Platten, reflektiert mit golden abgetönten Fenstern das Sonnenlicht. Ein bisschen klobig ist es und sehr funktional. Durch einen gepflasterten Platz getrennt hat es einen kleineren Ableger, der neuerer Bauart scheint. Das Dach ist geschwungen, wie das einer chinesischen Pagode und auf einige Betonpfeiler abgestützt. Alles hat aber die gleichen Farben und die goldenen Fenster. Ein Architekt wird wohl den Auftrag bekommen haben etwas moderneres zu kreieren, ohne das Alte all zu alt aussehen zu lassen. Für mich macht es keinen Unterschied, in welchem der beiden Bauten die Bergkamener kostenlose Stadtpläne lagern, denn heute haben beide geschlossen. Ich treffe nur eine Putzfrau. Was tun? Planloses rumirren ist angesagt. Das hat schon in größeren Städten funktioniert. Ich bin ja soweit ich weiß genau im Zentrum von Bergkamen, da wird schon irgendetwas Interessantes in der Nähe sein. Ich taste mich voran. Der Platz zwischen dem alten und neuen goldäugigen Haus setzt sich um die Ecke fort. „Platz der Partnerstädte“, verrät ein Schild. Dort wo er in eine Straße mündet, steht ein blauer Container – so einer wie sie zu tausenden in Hamburg auf Schiffe verladen werden. Er hat kleine gläserne Guckkästen an allen Seiten, in denen Flyer für verschiedene Touristikangebote liegen. Innen ist anscheinend eine Art Lichtinstallation aufgebaut, die aber erst bei Dunkelheit ihre Wirkung entfaltet. Das Stück zweckentfremdeter Fracht ist Teil der Aktion Ruhr 2010. Das Ruhrgebiet insgesamt ist ja zur Kulturhauptstadt Europas in diesem Jahr ernannt worden. Da macht auch Bergkamen als „Mittelzentrum in der Ballungsrandzone des Oberzentrums Dortmund“ (Wikipedia) mit. Nicht schlecht für so ein Mittelzentrum plötzlich Hauptstadt zu sein. Ich denke mir das so ähnlich, wie wenn mein Mittelzentrum Balkontisch im Ballungsraum meines Oberzentrums Wohnzimmer plötzlich zusammen mit dem dort befindlichen Esstisch eine gemeinsame Tafel für ganz Europa bilden dürfte. Wahrscheinlich müsste ich noch mein kleines Nachtischchen dazu stellen, damit auch alle Europäer einen Platz finden – aber ob das nun ein Unterzentrum meines Nebenzentrums Schlafzimmer ist, oder doch eher ein dezentraler Ballungsraum für meine verschiedenen Zeitungsstapelmittelzentren, ist mir entschieden zu hoch.


Die Straße hinter dem Container erstreckt sich zwischen mehreren Kreisverkehren. Sie ist flankiert von zwei Einkaufszentren, die einen stummen Kampf um Kundschaft austragen. Auf der einen Seite residieren C&A, Deichmann, T€DI, Center Shop und ein Geschäft für Babyausstattung, auf der anderen KIK & Co. Menschen laufen geschäftig hinter Glasscheiben hin und her, fahren Rolltreppe, schleppen Tüten. Aber die Art wie sie das tun erinnert mich unwillkürlich an einen Einkauf im Baumarkt. Sie schlendern nicht, gucken nicht nach links und nicht nach rechts. In Aachen liegen die großen Heimwerkerhallen irgendwo an einer breiten Straße in den Außenbezirken. Man weiß genau, dass es dort nichts zu sehen gibt, außer eben das, wofür man gekommen ist: einen Baumarkt. Weil Kinder das nicht aushalten, stehen vor der Kulisse von schlachtschiffgroßen Parkdecks Kaugummiautomaten und elektrische Plastikpferde, die für einen Euro mit amtlich genormter Geschwindigkeit zu wippen beginnen. Man ist dort für die Zeit seines Aufenthaltes aus dem öffentlichen Leben ausgeklammert. Große Baumärkte sind autark. Man kann dort essen, sich in der Gartenabteilung auf einer Parkbank ausruhen und muss wie in der Fremde nach dem Weg fragen: „Wenn sie einfach Gang acht folgen bis sie an den Dispersionsfarben vorbei gekommen sind und sich dann nach rechts in Richtung der Click-Laminatböden wenden, dann finden Sie die Hohlwandspreizdübel gleich zu Anfang des Regals Dübel und Schrauben“. Wenn man aus einem so eigenständigen Winkel der Welt wieder ins Freie tritt, denkt man zuerst daran, wo man sein Auto geparkt hat, einem kommt gar nicht erst der Gedanke noch ein wenig in der Gegend herumzubummeln. Man befindet sich in einer leeren Übergangszone, die man auf schnellstem Weg in Richtung Heimat verlassen möchte. Es ist das Außenstadtgefühl. Und genau dieses scheint gleich neben dem Rathaus der Stadt Bergkamen in der Luft zu liegen. Obwohl das Wetter blendend ist, sind die Einkaufszentren voll und die Bürgersteige leer. Die Leute gehen gleich aus dem Hinterausgang ins Parkhaus und verschwinden, ohne dass sie sich als Fußgänger gezeigt hätten. Das ist seltsam, denn eigentlich bin ich ja gerade nicht aus einer Stadt hinaus, sondern in eine hinein gefahren.