NRW Ticketing Bergkamen


Ein wenig ratlos blicke ich die Straße zwischen den Einkaufsklötzen entlang. In beide Richtungen läuft der Mittelstreifen auf den Horizont zu. Ich glaube nicht, dass dort mehr los ist als da wo ich gerade bin. Ich versuche es also mit den senkrecht dazu verlaufenden Straßen und bin prompt mitten in einem Wohngebiet. Wenn ich über meine Schulter zurückschaue lacht mich ein buntes Männchen mit geringeltem Pullover an, das an der Rückseite eines der Einkaufszentren befestigt ist und auf die „Markthalle Bergkamen“ hinweist. Schaue ich nach vorn sehe ich auf niedrige Einund Mehrfamilienhäuser. Fast ohne Übergang bin ich wieder raus aus dem vermeintlichen Zentrum. Ich stehe auf einem Basketballplatz, an den sich ein kleiner Park mit Spielplatz anschließt. Sehr hübsch eigentlich. Ein flaches wassergefülltes Becken mündet in einen kurzen Fluss, der gleich an den Zäunen der Grundstücke fließt. Es gibt einen Steg, der ihm entlang der ganzen Anlage folgt. Man tritt bei jedem Schritt anders auf, weil er aus unregelmäßig geformten Baumstämmen gefertigt ist. Und weil niemand außer mir da ist, kann ich das angenehme Knarzen des Holzes unter mir umso deutlicher hören. Ich verlasse den Park an seinem anderen Ende und lande an einem Kreisverkehr. Von hier aus kann ich das einzige Hochhaus von Bergkamen sehen. Es zählt fünfzehn graue Stockwerke, die auf einem fensterlosen gelben Unterbau balancieren, der noch einmal fünf Etagen ausmacht. Wofür dieser gut ist, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Ob wohl ein Parkhaus eingebaut ist? Oder ein oberirdischer Keller? Mag sein, dass etwas ganz anderes da unten lauert. Oder lauerte. Das Gebäude ist außer Betrieb, die Wohnungen geräumt. Viele Scheiben sind Wettbewerben der örtlichen Jugendlichen zum Opfer gefallen, die versucht haben müssen möglichst hohe Treffer zu landen. Die Feuerleiter rostet vor sich hin, in einem Fenster hängt noch ein einsames BVB-Banner. Es ist gespenstisch sich vorzustellen, wie ein so großes Gebäude vollständig verlassen sein kann. Ich frage einen bärtigen Spaziergänger danach. Er sagt, das Hochhaus stehe jetzt schon viele Jahre leer. Zweizimmerwohnungen seien drin gewesen, bis man irgendwann allen Mietern gekündigt habe und der Abriss beschlossen wurde. Danach sei aber nichts mehr passiert. Es blieb einfach stehen. Schließlich habe ein Künstler zehn auf Holz gemalte Gartenhäuschen an die Balkonfronten hängen dürfen. Ich kann sie sehen, wenn ich ein Stück um das Haus herum laufe: Eines mit einer Regentonne, eines mit einer Hundehütte, ein Apfel, Gardinen, Blumen, Schaufeln und eine Gans. Rot, gelb, grün, blau. Man kann sich gut vorstellen, wie toll es aussähe, wenn wirklich die gesamte Fassade voll wäre mit den bunten Lauben. Wie ein Stück friedlicher Widerstand gegen die Langeweile.


Ich sitze in einer Bäckerei, die im gleichen Klotz wie KIK residiert. Mit Kaffee und Streuselbrötchen beratschlage ich, was ich hier weiter machen werde. An den anderen Tischen residieren drei alte Männer, jeder für sich, die trotzdem in eine gemeinsame Unterhaltung vertieft sind. Ich krame in meiner Tasche. Viele Informationen habe ich mir nicht eingesteckt. Hauptsächlich die Adresse des geschlossenen Rathaus. Es ist ja nicht Sinn der Sache meinen Tag schon aus der Ferne in Orte und Zeiten zu zerschneiden. Ich meine klar: Heutzutage kann man natürlich die Hälfte von dem was man vor Ort finden wird auch schon am Computer auf Satellitenaufnahmen entdecken. Du kannst dir deine Route online mit kleinen Fähnchen abstecken und dir eine bunte Karte ausdrucken. Ich bin mir sicher, in ein paar Jahren wird man nicht einmal mehr selbst hinfahren müssen. Es gibt dann längst einen Internetdienst, der mir in Echtzeit die Koordinaten von einigen Dutzend Handybesitzern in der Nähe meines Ziels zeigt. An die kann ich per Klick eine Anfrage senden, ob sie mal ihre hochauflösende Kamera draufhalten können, deren Bilder ich schließlich als Stream empfange. Nein wirklich – wer macht es als erster und wird der nächste youtube-Millionär? www.seethroughmyeyes. com ist noch frei. Ich könnte dann mein NRW-Ticket auf dem Schwarzmarkt verkaufen und NRW-Streameting schreiben. Jedenfalls würde mir das neben einigen interessanten Begegnungen auch gewisse Sackgassen ersparen, in die man leicht rennt, wenn man nur eine grobe Idee davon hat wo man da eigentlich gerade hinfährt.