NRW Ticketing Bergkamen


Bevor ich gehe, wage ich doch noch einen Blick in den Raum mit den Actionfiguren. Es fühlt sich wirklich so an, als seien hier die Flohmärkte meiner Kindheit auf wenige Regalmeter verdichtet worden. Für ein bisschen Nostalgie ist das immerhin gut. Ich entdecke mein altes Playmobilraumschiff – hier ist das also gelandet. Die Frau unten an der Kasse verabschiedet mich genau so freundlich wie sie mich begrüßt hat. Ich nutze die Gelegenheit ihr noch einen Tipp zu entlocken: „Wissen sie, ich habe noch ein bisschen Zeit hier in Bergkamen, haben sie vielleicht eine Idee, wo ich mich noch umsehen könnte?“. Sie denkt kurz nach, meint dann ich sollte mir den Sporthafen angucken, der sei wirklich schön. Einen Sporthafen gibt es hier, denke ich, wow. Sie instruiert mich an der Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite auf den nächsten Bus zu warten und beim Busfahrer nachzufragen. Bis der nächste Bus kommt vergehen geschlagene dreißig Minuten. Das schöne Wetter hat sich auch verzogen und kalter Wind hat selbst die Typen vor Ali’s Eck vertrieben. Ich warte wacker, muss ja sowieso irgendwie hier weg. Nach zwanzig Minuten denke ich, die Sache mit den beheizten Straßen hätte vielleicht auch Vorteile. Aber dann besinne ich mich auf die richtige Einstellung zurück und definiere mein unangenehmes Warten in der Kälte kurzerhand zum persönlichen Streik gegen die Laufzeitverlängerungen um. Der Bus kommt. Ich sage: „Ich würde gerne zum Hafen fahren, können sie mich da mitnehmen?“ „Hafen, was fürn Hafen?“, blafft mich die Fahrerin an. „Äh ich weiß es selbst nicht genau, es soll hier irgendwo einen geben“, versuche ich zu schlichten. „Ja das kann ja nur der Marina Rünthe sein. Da sind sie bei mir

aber falsch. Sie müssen gegenüber einsteigen, ist aber glaub ich gerade weg.“ Das reicht mir für heute. „Vergessen sie es“, schwenke ich um, wie ein Kran, „fahren sie nicht irgendeinen Bahnhof an, von dem ich nach Dortmund komme?“ „Bahnhof?“ „Bahnhof“, bestätige ich. „Achso jaja, Preußen.“ „Preußen?“ „Bahnhof Preußen. Da fahren Züge“ „Okay. Wären sie so freundlich mir Bescheid zu sagen.“ „Ne. Steht da oben auf der Anzeigetafel. Preußen.“ „Okay…“


Ich steige ein, obwohl mich das nicht gerade zufriedener macht. Ich bin allenfalls erleichtert, nicht länger in der Kälte stehen zu müssen. Mein Tag in Bergkamen löst sich gerade in einem unspektakulären Finale auf. Der Bahnhof Preußen ist ein Drecksloch. Ich kann nicht einmal nachgucken, ob und wann hier ein Zug nach Dortmund kommt, weil die Fahrpläne von ihren Halterungen weggeklaut wurden. Ich frage also denjenigen Wartenden, der mir am wenigsten zwielichtig erscheint und er meint es komme tatsächlich gleich einer. Glück gehabt oder Pech – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall bin ich auf dem Weg nach Hause.


Als Sir Edmund Hillary und Ang Nyima, die Erstbesteiger des Mount Everest, von ihrem Berg kamen, hatten sie sicher mehr Ruhm verdient als ich und meine Erfahrungen mit der Stadt Bergkamen, als wir aus Bergkamen kamen. Aber ein bisschen wie ein Erstbesteiger fühle ich mich doch. Ich habe mit einem Ort Kontakt gehabt, dessen Struktur mir völlig neu war. Bergkamen heißt zwar Stadt, aber es ist keine Stadt, wie ich sie kenne. Ich bin es von Aachen und anderen Städten gewöhnt, einen historisch gewachsenen Stadtkern vorzufinden, von dem aus ich mich orientieren kann – in dem eine Menge Menschen herumlaufen, denen man zusehen oder hinterhergehen kann. Aber mit Bergkamen ist das anders. Es hat sich erst vor einigen Jahrzehnten überhaupt dazu entschieden als Stadt zu bestehen. Und ich glaube das war mit der Hoffnung auf einen großen Schub in die Zukunft verbunden. Damals wurde noch Kohle abgebaut. Die Leute hatten angeblich alle ein Auto – wer weiß, vielleicht hat man ja sogar im gelben Unterbau des Hochhauses in der Stadtmitte heimlich einen kleinen Atomreaktor installiert, der die Straßen beheizen sollte. Das würde zumindest erklären, warum man es heute nicht einfach so abreißen kann. Jedenfalls hat man wohl an eine sehr schnelle Entwicklung geglaubt und ich bin mir nicht sicher, ob diese wirklich eingetreten ist. Bergkamen muss man aber zu gute halten, dass es neben dem Stadtzentrum West mit Rathaus und Busbahnhof auch noch ein Stadtzentrum Ost mit einer Fußgängerzone gibt. Das habe ich im Nachhinein herausgefunden. Ich weiß nicht genau wo es ist, oder wie es aussieht, und ob es alles hinfällig macht, was ich gesagt habe. Aber fest steht, dass ich es nicht gefunden habe und das sagt mir auch das ein oder andere darüber wie unflexibel eigentlich meine Vorstellungen von einer Stadt sind. Ich habe garnicht erst gefragt, wo ich am besten hingehe, sondern gleich angenommen, da wo das Rathaus ist, ist auch das Zentrum. Ich muss wohl noch ein wenig üben, und Bergkamen muss noch ein wenig mehr zusammen wachsen. Für den Fall, dass das Gespräch mal darauf kommt, werde ich jedenfalls behaupten in Bergkamen einen Onkel zu haben.






Email versteckt; JavaScript muss aktiviert werden.